Das Schicksal vieler Menschen, über die wir urteilen, ist uns oft nicht bekannt. Über eines dieser Schicksale möchte ich Ihnen berichten.
Patinatar Ghanathas ist Tamile und kommt aus Sri Lanka. Sri Lanka ist eine Insel im indischen Ozean kurz vor der Küste Indiens und ist 65.000 Quadratkilometer groß. Sri Lanka hat 20 Millionen Einwohner. Zum Vergleich: Bayern hat 12 Millionen Einwohner und ist 70.000 Quadratkilometer groß.
Seit 30 Jahren gibt es dort einen Bürgerkrieg zwischen den Tamilen und den Singhalesen. Die Singhalesen nahmen den Tamilen das Land weg und unterdrückten sie. Die Tamilen gründeten die LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam), um die Singhalesen zu bekämpfen und sich ihre Rechte zurückzuholen.
Aufgrund des Bürgerkrieges flüchtete Patinatar Ghanathas 1989 mit 13 Jahren. Seine Eltern schickten ihn zuerst mit einem Schiff nach Indien und von dort reiste er nach Deutschland. Sein damals 19-jähriger Bruder war schon dort. „Da ich noch nicht volljährig war, musste ich in ein Kinderheim und durfte nicht zu meinem Bruder ziehen“, erklärte er. Patinatar sprach und verstand kein Wort Deutsch. So musste er erst mal die Sprache lernen. „Hier war für mich alles fremd.“ Das Essen war anders, er verstand nichts, er kannte niemanden. Trotzdem schaffte er es, einen Hauptschulabschluss zu machen. Danach zog er zu seinem Bruder und absolvierte eine Lehre als Schweißer. Er machte noch eine Lehre als Automechaniker und schloss diese 1997 ab. Während seiner Lehre arbeitete er zusätzlich, um seine Familie in Sri Lanka finanziell zu unterstützen.
Zehn Jahre nach seiner Flucht sah er endlich seine Eltern das erste Mal in Indien wieder. 2005 ging er dann erstmal nach Sri Lanka zurück, um dort die Hochzeit seines Bruders und das Wiedersehen mit der ganzen Familie zu feiern.
Er wollte nach seinem Aufenthalt in Sri Lanka wieder nach Deutschland zurück fliegen. Hinter den Sicherheitskontrollen am Flughafen, wo seine Familie ihn nicht mehr sehen konnte, wurde er von der Polizei aufgrund seiner deutschen Staatsbürgerschaft und seines indischen Passes festgenommen. Es war angeblich verboten, sich mit zwei Pässen in Sri Lanka aufzuhalten. Er saß, ohne Kontakt zur Außenwelt, drei Monate im Gefängnis. Seine Familie dachte, er sei wieder in Deutschland und seine Arbeitgeber fragten sich, wo er war.
Nach seiner Freilassung durfte Patinatar nach Deutschland zurückfliegen. Er hatte einen Kredit aufgenommen, um die Hochzeit seines Bruders zu finanzieren. Um diesen wieder abzubezahlen, arbeitete er tagsüber in einem Restaurant, abends spülte er dann noch in einem anderen. Nachts fuhr er Lkw-Reifen aus und musste diese schweren Reifen alleine vom Laster bewegen. Er kämpfte immer viel und war bereit viel zu arbeiten. Nie verlor er den Mut, auch nicht in manchen Situationen, wo einige schon längst aufgegeben hätten.
Heute hat Patinatar Ghanathas seine eigene kleine Autowerkstatt in der Nähe von Wesel. Dieses Schicksal hat mich sehr bewegt und deshalb wollte ich Sie daran teilhaben lassen.
Imke Lemke, Wesel, Andreas-Vesalius-Gymnasium