Ein kalter, verregneter Montagabend, eine leicht miefige Turnhalle in Kürten. Woanders wäre es jetzt sicher gemütlicher. Aber ich werde neugierig: „Itsch, nie, go, rock!“, tönt es rhythmisch aus vielen Kehlen im Obergeschoss.
Probt die Schulband ein neues Stück? Weit gefehlt – hinter dieser Tür üben etwa 20 barfüßige Jugendliche in weißen Schlabberklamotten und verschiedenfarbigen Gürteln fremdartige Bewegungsabläufe, die den unvorbereiteten Zuschauer an eine Mischung aus Breakdance, Aerobics und Schattenboxen erinnern.
Sie zählen laut die Wiederholungen der Übung, und das tun sie auf Japanisch, denn sie trainieren Karate!
Karate ist eine alte japanische Kampfkunst und bedeutet ‚Kunst der leeren Hand‘, weil die Kämpfer unbewaffnet sind. Jede Bewegung und jeder Stand muss ’sitzen‘, bevor mehrere Elemente zu einem Gesamtablauf, genannt ‚Kata‘ zusammengefasst werden – deswegen die vielen Wiederholungen und das Zählen!
Also doch eine Art modernen Tanzes? „Nein“, erklärt Trainer Patrick Ehrmann, „Karate ist mehr als Katas auswendig können, Karate ist auch eine Philosophie und erfordert viel Konzentration und persönliche Disziplin“. Achtung vor dem Gegner zeigt sich bereits beim Begrüßen am Beginn einer Partnerübung, wenn sich beide Partner voreinander verbeugen.
Blaue Flecken sind zwar inklusive, aber den anderen im Training ernsthaft zu verletzen, ist verboten. Immer in Gedanken mehrere Bewegungen voraus sein, einschätzen können, was ein Gegner wohl machen wird, richtig reagieren – diese Fähigkeit entwickeln die Schüler erst langsam nach vielen Jahren Training.
Was macht dann gerade den Jüngeren so viel Spaß, dass sie länger dabei bleiben wollen? Arthur (11) erklärt: „Wenn du was richtig gut kannst, dann lobt dich der Trainer und du bist richtig stark.“ Wird im Fußballverein etwa nicht gelobt, warum gerade Karate? „Doch schon, aber wenn du weißt, dass du richtig stark bist, traut sich keiner mehr, dich zu hauen und es kommt erst gar nicht zu einer Prügelei“. Ein dicker Pluspunkt in Sachen Selbstvertrauen!
In der Tat bieten viele Karatevereine auch Kurse zur Gewaltprävention an, wie Patrick Ehrmann berichtet: „Schulen fragen an, wenn es öfter Schlägereien gibt. Dann gehen wir in die Klassen und zeigen den Schwachen, wie sie sich gegen Drohungen behaupten können und den ‚Mackern‘, wie uncool es ist, wenn sie einen Schwächeren provozieren“. Das würde mancher sich wünschen!
Ach, übrigens – Oi-zukis und Mai-geris sind Fauststöße und Fußtritte, die ich nicht einmal von dem schmächtigen Elfjährigen abbekommen möchte – „das musst du mit ganz viel Wumm machen, dann ist es gut!“. Das überzeugt! Wumm!
Alexander Schuppert, Leverkusen, Werner-Heisenberg-Schule