The Line – ein Tag in der Stadt der Zukunft

von Leonora Douglas, Klasse 9, International School of Düsseldorf, Düsseldorf

Es blitzt und stürmt, ich höre nicht auf zu rennen. Ich renne und renne, bis ich am Rand einer hohen Mauer stehe. Ich blicke hinunter, die Mauer ist 500 Meter hoch. Ich habe Angst, bin unsicher. Um mich herum ist Wüste. In der Ferne das Rote Meer. Auf einmal blitzt es, ich trete einen Schritt nach vorn, rutsche aus, falle von der Mauer. Ich höre ein beep-beep, beep-beep…

6:45 Uhr, der Wecker reißt mich aus dem Schlaf. Es war nur ein Albtraum. Oder war es die Realität? Ich stehe auf, verlasse mein Bett, verschwitzt und verwirrt. Eins ist sicher, ich befinde mich in „The Line”.

Was ist The Line?
The Line ist ein Linien-Stadt-Projekt, erfunden von Kronprinz Mohammed bin Salman aus Saudi-Arabien. Sein Ziel: die Umwelt bewahren. Diese Stadt der Zukunft soll sich zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgen. Zudem sollen rund 95 Prozent der Umgebung außerhalb der Stadt zu geschütztem Naturland erklärt werden.

So sieht das Leben in der Stadt der Zukunft aus
Ich bin im Bad, das grelle Licht blendet mich. Es kommt nicht von einer elektrischen Glühbirne, sondern von einem Rohrsystem, welches das natürliche Sonnenlicht in mein Badezimmer leitet. Ich fange an meine Zähne zu putzen. Plötzlich leuchten die Ränder meines Spiegels auf und eine menschliche Stimme spricht:  „Guten Morgen, Ophelia. Ich habe bemerkt, dass deine ökologische Bambuszahnbürste, die schon 78 Tage alt ist, eine neue Borste benötigt. Willst du, dass ich einen neuen Aufsatz über Amazon Green Line bestelle?” „Sehr gerne, Kuri“, flüstere ich in einem müden Ton. Ich nenne meinen Spiegel Kuri, weil es menschlicher klingt, obwohl sie ein Spiegel mit Computerchip ist. Sie ist hilfreich und nett, manchmal aber auch anstrengend. Sie weiß alles besser, gibt jeden Tag viele hilfreiche Tipps, die aber auch nerven können – ähnlich wie bei meinen Eltern.

The Line ist immer da. Auch wenn man nicht will
Ich setze mich auf die Toilette und frage Kuri: „Wie wird das Wetter heute?“ Die Antwort: „29 Grad mit Sonnenschein, ein Hochdruckgebiet pustet eine frische Brise über das Rote Meer in die Mauer hinein. In der Stadt Tabuk bleibt es heute leider nicht trocken, mit einer Regenwahrscheinlichkeit von 50 Prozent. Ich empfehle einen Sonnenschutz mit Faktor 50, um Hautschäden zu vermeiden. Und ich habe deinen Terminkalender angeschaut und gesehen, dass du die Familie Khan schon 26 Tage nicht mehr gesehen hast. Soll ich Familie Khan anfragen, ob ihr heute zusammen grillen wollt”, fragt Kuri. „Auf jeden Fall, das ist eine super Idee.“ Ich stehe von der Toilette auf und auf einmal piept es. Auf dem kleinen Bildschirm oben auf der Toilette steht eine Anzeige: „Du hast gestern zu viele Zimtschnecken gegessen. Deine Blutzuckerwerte sind schon wieder zu hoch, heute bitte auf deine Zuckeraufnahme achten.“ Das nervt. Muss sie mich immer kontrollieren? Aber andererseits ist es auch hilfreich für meine Gesundheit. Typisch The Line. Immer für mich da. Auch wenn ich nicht will.

The Line, die Schule und ich
Ich suche genervt meine Klamotten für meinen Schultag raus. Ich gehe in die Küche, da klebt ein Zettel meiner Mutter auf dem Kühlschrank: „Bitte heute einkaufen gehen!” Ich habe keine Lust, aber egal, ich hole es einfach nach der Schule, der Supermarkt liegt auf dem Weg.

Ich gehe auf den Balkon, um mir ein paar Öko-Beeren fürs Frühstück zu pflücken. Die Himbeeren sind meine Lieblingsfrüchte, deswegen hole ich extra viele. Kuri meldet sich wieder über die Boxen der Stereoanlage: „Ophelia, schneller, es ist schon 07:45 Uhr.“ Mist, ich bin schon wieder zu spät. Ich stopfe mir schnell die Beeren in den Mund und renne aus der Tür. Den Hochgeschwindigkeitszug, der nur mit Ökostrom fährt, habe ich jetzt auch verpasst. In dem Zug kann man innerhalb von 20 Minuten eine Entfernung von 170 km zurücklegen. Zur Schule brauche ich damit also nur ein paar Sekunden. Heute muss ich aber wohl laufen.

Obwohl ich eigentlich zur Schule rennen müsste, damit ich nicht zu spät komme, laufe ich gerade auf der obersten Etage der Mauer. Da die Linien-Stadt sehr groß ist, gibt es drei Ebenen. Die oberste ist für Fußgänger, diese ist oberirdisch. Die mittlere ist für Infrastruktur und liegt unterirdisch. Die unterste Ebene ist auch unterirdisch und für den Verkehr angelegt.

Ich höre viele Geräusche: Squawk, Squawk, Squawk. Ich gucke nach oben und sehe wunderschöne grüne, blaue und rote Papageien. Sie fliegen über mich und kreieren mit Ihrem Gesang sogar Lieder. Außerdem praktisch: Seitdem es so viele Papageien in The Line gibt, brauchen wir keinen chemischen Moskitoschutz mehr.

Auf einmal raschelt etwas in meiner Jackentasche. Ich hole es verwirrt heraus, aber dann merke ich, dass es regional angebaute Nüsse sind. Ich pfeife, um die Aufmerksamkeit der Papageien zu bekommen. Blitzschnell fliegt einer nach dem anderen auf mich zu. Sie picken die Nüsse genüsslich aus meiner Hand, als ich schon wieder merke, dass ich viel zu spät für die Schule bin. Heute ist echt nicht mein Tag.

Es ist 8:15 Uhr, ich bin außer Atem und renne in den Klassenraum. Wir haben heute in der ersten Stunde Ökologie. Ich liebe das Fach, denn derzeit erfinden wir Geschirr, das man essen kann. Das spart Wasser beim Abspülen. Ich habe heute noch die Fächer ökologische Gärtnereien, Kunst und KI-programmieren. Nach vier niemals endenden Stunden ist die Schule endlich vorbei. Kunst hat heute am meisten Spaß gemacht, weil wir gerade ein Surfbrett aus Bambus kreieren und es mit ökologischen Farben bemalen.

Ein neuer Weg einzukaufen
Zum Glück habe ich gerade noch den Hochgeschwindigkeitszug erreicht. Ich sitze im Zug, schaue durch die Panoramaglas-Fronten und überlege, was ich denn heute alles einkaufen muss. Ich hole mein Handy heraus und frage Kuri, was wir alles im Kühlschrank haben und was wir fürs Grillen brauchen. Bio-Eier, Sojamilch, Mandel-Mehl, vegetarischer Fleischersatz, und noch einige andere Lebensmittel. Innerhalb von drei Minuten sind wir schon an meiner Station, die Türen öffnen sich und als ich aussteige, begrüßt mich eine frische Brise von Lavendel. Ah, wie ich den Frühling liebe, hier in der Nähe befindet sich auch mein Lieblings-Bio-Honigladen.

Ich gehe in den Supermarkt und scanne den QR-Code am Eingang mit meinem Handy. Auf der Supermarkt App drücke ich auf Sojamilch und schon blinkt ein Regal nicht weit von mir. Super, jetzt habe ich schon die Sojamilch, so einfach geht das. Als ich den Rest der Liste gefunden habe, gehe ich zur Kasse. Nach dem Scannen werden meine Einkäufe in einen kleinen Transportroboter verladen, der danach die Einkäufe vor meine Haustür transportiert.

The Line. Eine Chance für die Zukunft
Das Grillen mit Familie Kahn war hervorragend. Das Essen hat super geschmeckt, die Stimmung war gut und die Vögel haben durch ihre verschiedenen Geräusche wunderschöne Lieder für uns gesungen.

Wir bedanken und verabschieden uns. Bei dem guten Wetter sind wir nach Hause gelaufen. Das entspannende Summen der Bienen, das Zwitschern der Vögel, die warme Frühlingsbrise und der erstaunliche Duft der Kirschblüten machen diese Nacht noch unvergesslicher. Ein Regentropfen landet direkt auf meiner Nase. Aus dem Nichts fängt es an, in Strömen zu regnen. Ich fange an zu rennen. Ich renne und renne, bis ich am Rand der hohen Mauer stehe. Ich blicke hinunter, die Mauer ist 500 Meter hoch. Aber diesmal habe ich keine Angst und bin nicht unsicher. Nein. Dieses Mal genieße ich voll und ganz meine Umgebung, mein Leben, mein Zuhause, The Line.