Unsere Autorin war im Sommer auf der Kantonschule Alpenquai in Luzern. Auch wenn die Schweiz nicht weit weg ist und dort auch deutsch gesprochen wird, sieht der Schulalltag doch ganz anders aus.
Ich sitze um 8 Uhr in der Klasse 2b der Kantonsschule Alpenquai in Luzern, statt in der Klasse 8c in Ratingen. Meine Familie ist in den Sommerferien hierher gezogen. Um mich herum sitzen knapp zwanzig Kinder von 13 bis 14 Jahren in einem im Vergleich zu Deutschland großen und gut ausgestatteten Raum. Für alle Schüler ist dies das zweite Jahr auf der weiterführenden Schule, obwohl alle Schüler in der achten Klasse sind.
In der Schweiz werden Kinder mit sechs Jahren eingeschult und besuchen dann sechs Jahre die Primarschule. Danach entscheiden die Lehrer aufgrund ihrer Leistungen auf der Primarschule, ob sie auf die Sekundarschule A, B oder C oder auf die Kantonsschule gehen. Die Sekundarschule B ist vergleichbar mit der deutschen Realschule und die Sek C mit einer Hauptschule. Die Kantonsschule kann man mit einem Gymnasium in Deutschland vergleichen. Von der Sekundarschule A kann man in der zehnten Klasse auf die Kanti wechseln, um dort die Matura zu machen, welche wie das Abitur ist.
Alle Klassen sind klein und meine Mitschüler empfangen mich neugierig. Mit noch zwei weiteren Mädchen sind wir die einzigen aus dem Ausland. Offensichtlich leben die beiden Mädchen aber schon länger in der Schweiz, da sie Schweizerdeutsch sprechen. Ich bin froh, dass neben mir eine Freundin von früher sitzt und sie mir hilft, mich in der neuen Schule zurecht zu finden. Ich schaue mich schüchtern um. Unter den anderen erkenne ich auch noch ein paar meiner „Kollegen“, so werden hier Mitschüler genannt, aus der Primarschule im Maihof. Allerdings merke ich schnell, dass diese Schule ganz anders sein wird.
Die Englischlehrerin kommt herein und stellt sich mir mit einem Händeschütteln vor. Auch dem Rest der Klasse gibt sie die Hand. Diese Begrüßung kenne ich aus Deutschland nicht, hier in der Schweiz ist sie üblich. Zum Abschied wird dies aber nicht gemacht. Dann beginnt der Unterricht. Die Lehrerin nennt schon am ersten Schultag einige Termine für Tests. Es werden in allen Fächer viele Tests, statt wenige Klassenarbeiten während eines Schuljahres geschrieben, die alle wie eine Klassenarbeit bewertet werden.
Das Schweizer Notensystem ist entgegengesetzt zu unserem System: Eine Schweizer Eins ist gleich einer deutschen Sechs und andersherum. Der erste Englischtest soll in drei Wochen geschrieben werden. Alle Lektionen aus dem Buch des vorherigen Schuljahres werden dann abgefragt, da die Klasse mit dem Buch aus der ersten Klasse nicht fertig geworden ist. Geschockt sitze ich da und weiß nicht, wie ich sieben Lektionen in drei Wochen lernen soll. So habe ich mir nicht meinen ersten Schultag vorgestellt.
Weiter geht es mit Geografie. Der Lehrer begrüßt uns nicht so freundlich. Er gibt mir einen Stapel zusammengetackerter Blättern, die die Grundlage des nächsten Tests sein werden. Meine „Kollegen“ sind fast fertig mit der Bearbeitung der Zettel. Deprimiert mache ich mich an die Aufgaben über Kartenkunde. Während des Unterrichts fällt mir auf, dass wir uns gar nicht melden müssen, was mir später auch bestätigt wird: Auf der weiterführenden Schule gibt es fast keine mündliche Mitarbeit. „Wir Schweizer haben so etwas nicht, weil man die Mitarbeit nicht objektiv bewerten kann“, erklärt mir meine Freundin.
Nach neunzig Minuten Unterricht beginnt die 1 1/2 stündige Mittagspause. Während alle Schüler in der Mensa zu Mittag essen, hat meine Klasse in diesem Halbjahr Hauswirtschaftsunterricht. Wir sollen mit Hilfe eines neuen Kochbuchs Vorspeise, Hauptspeise und ein Dessert für uns kochen. Im zweiten Halbjahr werden wir auch putzen, einkaufen, waschen, usw. lernen.
Nach dem Essen bin ich ganz schön geschafft von so viel Aufregung, aber der Tag ist noch nicht zu Ende. Es geht weiter mit einer Doppelstunde „Naturlehre“, dies ist eine Mischung aus Biologie, Physik und Chemie. Wir untersuchen Früchte, indem wir sie aufschneiden und im Längsschnitt zeichnen. Danach können wir sie essen. Damit endet mein erster Schultag auf der Kanti um 15.05 Uhr. Für mich war es eine große Veränderung, nicht nur die Schule, sondern auch in der Schweiz zu wohnen.
Julia Kühn, Klasse 8c, Carl Friedrich von Weizsäcker Gymnasium