„Gerade am Anfang ist bei mir auch das ein oder andere Tränchen geflossen“, erzählt Annette Adelberg (31). Sie entschied sich im Alter von 20 Jahren für ein Freiwilliges Soziales Jahr im Haus Nazareth, um die Wartezeit zwischen dem Abitur und dem Studium zu überbrücken. Da sie selbst aus einem gut behüteten Elternhaus komme, hätten die Einzelschicksale der Kinder sie natürlich sehr berührt.
1926/27 wurde das Haus Nazareth in Leverkusen-Schlebusch von den Schwestern des armen Kindes Jesus gegründet. Heute ist es eine moderne Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung mit ganz unterschiedlichen Angeboten. Kinder und Jugendliche aus schwierigen familiären Verhältnissen lernen hier mit ihren Grenzerfahrungen, emotionalen Störungen oder Behinderungen umzugehen und trotz erschwerter familiärer Bedingungen ein „normales“ Leben zu führen. Eine gemeinsame christliche Werteerziehung und moderne pädagogisch-therapeutische Verfahren gehören zum Leitbild von Haus Nazareth.
Während ihres Freiwilligen Sozialen Jahres sei sie sozusagen „das Mädchen für alles“ gewesen. Vormittags musste sie für die Wohngruppe einkaufen. Mit den ganz Kleinen „im Bollerwagen zu Aldi“, das sei immer sehr abenteuerlich gewesen, berichtet Annette Adelberg strahlend. Die beiden Kleinsten in der Gruppe, ein Geschwisterpärchen, seien damals nämlich erst ein und zwei Jahre alt gewesen. Die Vorstellung, dass sie – aus welchem Grund auch immer – nicht bei Mama und Papa sein konnten, habe sie damals sehr traurig gestimmt und ihr Verantwortungsgefühl gesteigert.
Die Frage, ob sie so eine Art „Ersatzmutter“ gewesen sei, beantwortet Annette Adelberg etwas unsicher. Natürlich sei es wichtig, die Kinder emotional aufzufangen und ihnen viel Wärme und Zuneigung zu geben. Aber auch eine gewisse Distanz sei notwendig. Zum einen, um die Beschäftigung mit den Kindern während des Freiwilligen Sozialen Jahres auch als Arbeit anzusehen, und zum anderen, weil die Kinder im Haus Nazareth ja in den meisten Fällen noch Eltern hätten. „Wer mit Kindern arbeitet, muss diese auch in sein Herz lassen“, aber Professionalität und Distanz seien im pädagogischen Bereich eben auch wichtig.
Die Arbeit im Haus Nazareth hat Annette Adelmann in ihrem Leben stark beeinflusst. Denn sie bekam Einblicke in viele Bereiche, beispielsweise in die Arbeit der Logopäden, zu denen sie die Kinder begleitete. Dieser Eindruck war so stark, dass sie sich entschieden hat, selbst Logopädin zu werden. Ein Freiwilliges Soziales Jahr ist also kein verlorenes Jahr, sondern kann auch ein wirklicher Gewinn für das Leben sein.
Yvonne Ganschow, Anna-Lina Schneiders und Constanze von Fragstein, Leverkusen, Marienschule