Schule – Turboabitur ist Chaos pur

„Versuchskaninchen“ steht in großen Buchstaben auf den Abschluss T-Shirts der Klasse 9b des Lise-Meitner- Gymnasiums in Geldern und genau dementsprechend fühlen die meisten Schülerinnen und Schüler sich auch.

Turboabitur oder auch G8 genannt heißt die harmlose Umschreibung für den nicht immer einfachen und oftmals auch stressigen Alltag vieler Beteiligter. Dabei soll das Abitur, was bisher nach 13 Jahren absolviert wurde, auf 12 Jahre verkürzt werden, so lautete zumindestens der Plan des Schulministeriums. Gesagt, getan. Doch wie genau soll das eigentlich funktionieren?

Für mich als betroffene Schülerin macht es den Anschein, als wüssten Barbara Sommer und Co. auf diese Frage auch keine wirkliche Antwort. Also versucht man es einfach mal. Und herauskommen wird ein legendärer Jahrgang, der zwar in Höchstleistungsgeschwindigkeit Abitur gemacht hat, jedoch noch lange nicht so viel gelernt hat, wie Schüler die ein Jahr mehr für den selben Unterrichtsstoff hatten.

Bei mir fing es in der Grundschule schon an: Ab der dritten Klasse sollte nun in allen Grundschulen Nordrhein-Westfalens spielerisch Englisch gelehrt werden. Doch wie genau definiert man eigentlich „spielerisch“? – Mit diesem Problem wurde unsere Schulleitung dann in Klasse fünf konfrontiert. Davon ausgehend, dass Schüler, die schon zwei Jahre Englisch hatten, schon die ersten korrekten Sätze sprechen können, nahm man also das Englischbuch des vorherigen Jahrgangs, fing aber schon im zweiten Kapitel an.

Doch die Hälfte der Schüler hatte noch niemals ein englisches Wort geschrieben, geschweige denn einen vollständigen englischen Satz verfasst. Einige hatten schon ein Vokabelheft angelegt, konnten also schon einige Wörter sprechen und schreiben, andere hatten nur das ein oder andere Lied gesungen oder Comics gelesen, von denen sie nicht viel verstanden hatten. Also musste der Englischunterricht bei Seite eins im jeweiligen Buch beginnen.

Da immer noch keine genau Anleitung vom Schulministerium für das Lehren an Schulen mit Turboabitur erschien, machte man also weiter mit dem Unterricht wie bisher, was bald aber schon zum Verhängnis wurde, da auffiel, dass wir die Bücher für das neunte und das zehnte Schuljahr in sämtlichen Unterrichtsfächern noch nicht durchgenommen hatten. Dann eben zwei Bücher in einem Jahr, eine meiner Meinung nach schlichtweg unmögliche Option.

„Es ist zu befürchten, dass sämtliche Abiturienten keine Studienplatz bekommen werden, da durch die Verkürzung doppelt so viele Schüler von der Schule abgehen werden“, sagt eine Mutter, deren Tochter auch mit diesem Problem kollidieren wird. Doch von oben kommen immer noch keine Lösungsstrategien. Es scheint, als würden die Politiker unseres Landes Reformen abschließen und Entscheidungen über unsere Köpfe hinweg treffen, jedoch vergessen, über die Konsequenzen nachzudenken, geschweige denn Betroffene mitbestimmen zu lassen, um Hilfe zu bitten oder nach unserer Meinung zu fragen.

Ich gehöre zu dem ersten Jahrgang der nach 12 Jahren Abitur macht und unter den Konsequenzen, wie zum Beispiel Nachmittagsunterricht oder zu viele Hausaufgaben, leiden muss. Durch die meist undurchdachten Ideen der Regierung bleibt unseren Lehrern meist nichts anderes übrig, als selber Unterrichtsstoff zu streichen oder zu verkürzen, damit wir weiter kommen.

Dadurch, dass erst nach dem achten Schuljahr überlegt worden ist, welchen Stoff wir kürzen, was meist schon zu spät war, haben wir oft Wissenslücken. Meine Klasse zum Beispiel hat, aus Zeitmangel, in acht Unterrichtsstunden die gesamte französische Revolution durchgenommen. Andere Jahrgangsstufen haben sich dafür ein halbes Jahr Zeit genommen. Und um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass auch nur einer von uns weiß, was genau in diesem so wichtigen Zeitabschnitt unserer Geschichte passiert ist, wenn er es sich nicht selber angeeignet hat.

Doch für unsere Jahrgangsstufe ist es zu spät, etwas daran zu ändern. Wir können nur noch hoffen, dass irgendeinem Politiker auffällt, was schief gelaufen ist und es ändert, denn so kann es auf Dauer nicht weiter gehen.

Lisa Neumann, Geldern, Lise-Meitner-Gymnasium