Selbstversuch – Ein Nachmittag im Rollstuhl

Für einen Selbstversuch haben wir uns für drei Stunden in den Rollstuhl gesetzt und haben die Reaktionen der anderen Spaziergänger beobachtet.

„Achtung, ich liege gleich mit dem Rollstuhl auf dem Rasen“, rufe ich meiner Freundin Leonie zu. Diese beeilt sich, zu mir zu laufen und mich gerade noch vor einem Sturz zu bewahren. Wir sitzen erst seit 20 Minuten im Rollstuhl und sind schon total am Ende. So geht es 1,6 Millionen Menschen in Deutschland und 185 Millionen Menschen weltweit täglich. Jeder zwölfte Einwohner in Deutschland ist schwerbehindert. Aus diesem Grund wollten wir selber diese Erfahrung einmal machen. Anfangs ist es ziemlich unangenehm, da jeder, der an uns vorbeikommt mitleidig schaut und aufmunternd zu lächeln versucht. Das ist so belastend, weil man sich sehr beobachtet fühlt, und ich glaube, dass die, die wirklich nicht laufen können auch gar kein Mitleid möchten. Allerdings sehen die anderen Fußgänger auch alle etwas geschockt aus, als sie ein 13-jähriges Mädchen im Rollstuhl sitzen sehen. Auch für uns ist es merkwürdig, weil wir bei jeder kleinsten Unebenheit des Bodens Angst haben aus dem Rollstuhl zu fallen oder mit den Rädern stecken zu bleiben.

Inzwischen sind wir schon ein kleines Stückchen gegangen und nun müssen wir den Deich runter. „Pass bloß auf, Mona, dass du mich nicht loslässt. Und bremse“, sagt Leonie und hat dabei offensichtlich Panik. Beruhigend sage ich ihr: „Keine Angst, ich passe auf, dass dir nichts passiert!“ Ganz vorsichtig und langsam schiebe ich sie also den Hügel herunter und unten angekommen ist sie scheinbar erleichtert. Während wir weitergehen, bemerken wir die Blicke aller Leute. Jeder sieht uns an, oder verlegen weg. Sogar die Autofahrer gucken, da sie womöglich der Ansicht sind, wir könnten sie nicht sehen. Allerdings sind wir auch noch ziemlich jung und „nur“ etwa zwei Prozent der Behinderten sind Kinder oder Jugendliche. Über die Hälfte der Rollstuhlfahrer auf der Welt sind älter als 65.

Da wir uns inzwischen wenigstens etwas an den Rollstuhl gewöhnt haben, versuchen wir beide uns selber abwechselnd zu schieben. Niemals hätten wir gedacht, dass das so schwer ist. Anfangs muss die jeweils andere noch festhalten, damit wir nicht die Wiese runterfahren. Ich denke darüber nach, dass die Rollstuhlfahrer auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln Probleme haben, da sie die Stufen nicht hoch oder runterkommen. Selbst mit Hilfe können sie nicht mit Bahn oder Bus fahren.

Die am häufigsten vorkommende Ursache sind Krankheiten wie zum Beispiel Multiple Sklerose, Schlaganfall, Glasknochen oder Muskeldystrophie. Fast 84 Prozent sind dadurch erst behindert geworden. Aber es gibt auch die fünf Prozent der Behinderten, die seit Geburt gehandicapt sind und gar keine Chance auf eine Heilung haben, und zwei Prozent, die durch einen Unfall an den Rollstuhl gefesselt wurden. Anschließend gehen wir nach Hause und werden dieses Erlebnis nie mehr vergessen und unsere Fähigkeit zu laufen mehr denn je zu schätzen wissen.

Mona Hummelsbeck und Leonie Schmitt, Düsseldorf, Erzb. St. Ursula-Gymnasium