Flüchtlingspolitik – Die Geschichte einer Flucht

In der Flüchtlingsunterkunft in Lüttenglehn hat unser Schülerreporter Manuel Stappen Elias kennengelernt. Der Armenier musste wegen seines christlichen Glaubens aus Syrien fliehen und hat einen langen Weg nach Deutschland zurückgelegt.

Elias* ist 28 Jahre alt. Er sitzt nach vorne gebeugt auf einem kleinen Hocker vor mir in einem Nebenraum der Turnhalle in Lüttenglehn. Der Raum ist voll mit bunt zusammengewürfelten Möbeln und dient wohl auch als Küche. Der Fußboden ist dreckig und es knirscht unter meinen Schuhen. Elias‘ Gesichtsausdruck ist ernst, er wirkt besorgt. Er sieht deutlich älter aus, als ich erwartet hatte. Zur Begrüßung strecke ich ihm meine Hand entgegen. Zögernd reicht er mir seine, der Händedruck ist schwach. Schnell zieht er seine Hand wieder zurück und versteckt sie in den Taschen seines zu großen Pullovers. Immerhin ein erstes Zeichen der Annäherung, denke ich und lächele ihn an.

Elias ist einer von sechs Schülern in einem Deutschkurs, den meine Mutter gibt. Sie begleitet mich zu diesem Treffen. Ich übergebe ihm den mitgebrachten Apfelkuchen, denn aus dem Deutschkurs weiß meine Mutter, dass Elias Äpfel besonders lecker findet. Nach dem zweiten Stück Kuchen beginnt Elias zu erzählen: Vor zehn Monaten verließ er seine Heimatstadt an der syrischen Grenze zur Türkei und begab sich alleine auf eine lange Reise.

Seine Frau, seine dreijährige Tochter und er gehören der armenischen Minderheit in Syrien an. „Früher haben Sunniten, Schiiten, Christen und Jesiden friedlich zusammengelebt. Alles hat 2011 mit den Demonstra-tionen gegen das autoritäre Assad-Regime angefangen“, berichtet er. „Wir alle lebten in unserem Land als friedliche Menschen, wir sind keine Kämpfer oder Verbrecher. Als ich meine Stadt verließ, war sie unübersichtlich, überall wurde geschossen. Keiner wusste, ob ein früher freundlicher Nachbar einen plötzlich töten wollte oder nicht. Da blieb uns Christen nur die Wahl: entweder konvertieren oder Tod. Oder die Flucht.“ Später erzählt Elias von seiner Flucht. Vor allem die Überfahrt vom türkischen Festland auf die griechische Insel Kos hat ihn gezeichnet. „In dem völlig überfüllten Boot waren viele Kinder, junge Familien und mehrere sehr kleine Babys. Das Boot war total überfüllt. Es gab weder Wasser noch Essen. Viele Kinder schrien und weinten. Da musste ich ständig an meine kleine Tochter denken. Sechs Stunden lang“, sagt er klagend.

Und dann berichtet er, dass die Flüchtlinge nach der gefährlichen Überfahrt sich selbst überlassen werden und der Weg von Griechenland nach Deutschland sehr, sehr weit ist, wenn man auf sich alleine gestellt ist. Die Schlepper nehmen für die Überfahrt nach Kos 2000 Euro für einen Erwachsenen und 1000 Euro für ein Kind. „So viel Geld konnten wir in Syrien nicht aufbringen. Wir nicht und auch nicht meine Verwandten. Deshalb bin ich nun alleine in Deutschland und kämpfe dafür, dass meine Familie offiziell nach-reisen darf“, sagt Elias und seine Augen leuchten dabei.

Als die Stadt Korschenbroich Ende 2014 erstmals die Belegung der alten Turnhalle in Lüttenglehn mit Flüchtlingen plante, regte sich lauter Bürgerprotest. Im Herbst 2015 entspannte sich die Situation wieder. „Die Flüchtlinge wurden herzlich empfangen. Es wurde viel gespendet und viele boten ihre Hilfe an“, bestätigt auch Elias in unserem Gespräch. Er merkt an, dass die Behörden ihnen eine gute Unterkunft, Essen, eine gesundheitliche Versorgung und auch kostenlose Deutschkurse – wie beispielsweise den bei meiner Mutter – anbieten. „Jedoch hoffe ich, dass irgendwann meine Frau und meine Tochter nachkommen dürfen“, sagt Elias zum Ende unseres Gesprächs. „Dafür bete ich jeden Tag.“

Ich hoffe für ihn, dass dieser Wunsch bald in Erfüllung geht, schießt es mir durch den Kopf. Es ist etwas ganz anderes, ob man im Fernsehen Berichte über Flüchtlinge sieht oder ob man sich persönlich mit ihnen unterhält. Das Schicksal rückt in diesem Augenblick sehr nahe an einen selbst heran. Zum Abschied fragt Elias mich, ob die Menschen in Deutschland die Flüchtlinge verstehen könnten. „Aber sicher“, erwidere ich, obwohl ich weiß, dass leider nicht alle Menschen dieses Verständnis aufbringen.

*Name von der Redaktion geändert

 

Manuel Stappen, 8b, Franz-Meyers-Gymnasium Mänchengladbach