„Argentinien war ein Land voller Möglichkeiten“

Ihr Urgroßvater ist in jungen Jahren von Weißrussland nach Argentinien ausgewandert. Über sein Leben sprach die Texthelden-Autorin mit ihrem Großvater.

Von Martina Bracamonte, 8. Klasse, Konrad Heresbach-Gymnasium Mettmann

Mein Großvater mütterlicherseits heißt Ruben Danilo Capkob. Er lebt mit meiner Großmutter Matilde in Cordoba, Argentinien. Sein Vater, mein Urgroßvater, emigrierte aus Weißrussland, das zu dieser Zeit noch Teil der UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) war, die häufiger als Russland bezeichnet wurde. Ich wollte mehr über meine Familiengeschichte wissen.

Könntest du mir sagen, wie mein Urgroßvater hieß und wo er geboren wurde?
Er hieß Ivan Tsapko (Иван Цапко) und wurde am 24. Juni 1909 in Weißrussland in einer kleinen Stadt in der Nähe von Brest geboren, die an der Grenze zu Polen liegt.

Warum hat er sich für die Emigration entschieden?
Aufgrund der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen im belarussischen Teil, der von Polen besetzt wurde (Das dauerte vom Jahr 1920 bis 1939, Anm. d. Redaktion), kam es zu einer massiven Auswanderung. Ivan, der damals 18 Jahre alt war, beschloss mit zwei seiner Freunde, sein Schicksal woanders zu verfolgen.

Wo begann ihre Reise?
Von Weißrussland aus ging es nach Deutschland, von dort ging es weiter nach Frankreich in die Stadt Marseille. Von Marseille aus fuhren die Boote nach Amerika. Anschließend begaben sich die drei Freunde nach Brasilien. Sie kamen in der Stadt San Pablo an.

Was hat er in Brasilien gemacht?
Er hatte in der Schule das Sattlerhandwerk erlernt und arbeitete auf den Farmen von San Pablo, wo er Geschirr für die Pferde, Polstersessel oder die Sitze der Waggons herstellte.

Wie kam er dann nach Argentinien?
Der abenteuerliche Geist der drei jungen Menschen und der Wunsch, neue Orte kennenzulernen, führten dazu, dass sie nach Argentinien zogen. Der Mann, der damals deinem Urgroßvater einen Job angeboten hatte, fragte ihn, wohin er gehe. ‘Nach Argentinien‘, antwortete er. Darauf sagte der Chef: ‘Aah, dann kehren Sie nie wieder zurück hier hin.‘ Das sagte er ihm, weil Argentinien ein Land war, dass so viele Möglichkeiten bot.  Als er in Argentinien ankam, in der Stadt Buenos Aires, blieb er einige Tage in der Casa del Inmigrante. Das heißt Haus des Einwanderers auf Spanisch.

Warum haben du und meine Mutter einen anderen Nachnamen als er?
Als mein Vater in Argentinien ankam, erledigte er die Einwanderungspapiere, wie so viele andere Einwanderer, die nach Argentinien kamen. Dein Urgroßvater konnte kein Spanisch sprechen und der Mann, der die Informationen niedergeschrieben hatte, notierte das, wonach es ihm klang, so kam es zu dem Namen. (auf Russisch: Цапко „bis“ Capkob. „) Aber das ist eine andere Geschichte.

Warum entschied er sich ausgerechnet für Córdoba?
Nachdem er den Papierkram in Buenos Aires abgeschlossen hatte, ging er nach Córdoba, einer Provinz, die zu der feuchten Pampa gehört, mit großen grünen Feldern und vielen Haziendas, in denen er wie in Brasilien einen Job bekommen konnte. In der Nähe der Stadt Sampacho befand sich ein großer Gutshof, der einem Mann namens Anchorena gehörte, einem sehr reichen Menschen, der viele Felder in der Umgebung besaß. Dieser Mann gab meinem Vater Arbeit: Er musste das Geschirr für die Tiere herstellen.

Und warum blieb er in Córdoba?
In dieser Hazienda traf er meine Mutter Catalina, ein junges Mädchen italienischer Herkunft. Sie heirateten 1937 und lebten in Sampacho. Ich wurde 1940 geboren. Die Illusion, nach Weißrussland zurückkehren zu können und sich mit seiner Familie wieder zu vereinen verschwand, dies umso mehr, als der Zweite Weltkrieg 1939 begann.

Und was hat er in Sampacho gemacht? Hat er weiterhin auf den Feldern gearbeitet?
Mit seiner Arbeit auf dem Feld kaufte er Kühe, die er später verkaufte. Mit dem Geld, das er verdient hatte, kauften deine Urgroßmutter und Urgroßvater ein Haus in Sampacho. Dort errichtete er sein Atelier. Schließlich erzeugte er nicht nur Geschirr für Nutztiere, sondern auch gepolsterte Sessel, Stühle und Autositze. Da er sehr ordentlich und engagiert war, hatte er viel Arbeit.

Meine Mutter erzählte mir, dass mein Urgroßvater kurze Zeit im Gefängnis war. Wann und warum?
Leider ist es wahr … Mein Vater war wie alle Russen Kommunist und hatte in seiner Kindheit gesehen, wie die Kosaken für die Menschen gekämpft haben, die gegen die Zaren waren, die Russland beherrschten. Die Idee des Kommunismus und Marxismus war Teil der russischen Ideologie, er war Russe und glaubte daher an die Idee des Kommunismus. Da Argentinien 1963 eine Militärregierung hatte, war das Militär wegen einer der vielen Staatsstreiche, die es in der Geschichte erlitten hatte, gegen den Kommunismus. Aus dem Grund wurde mein Vater wegen seiner kommunistischen Ideen und seiner Zugehörigkeit zu der kommunistischen Partei gefangen genommen. Er verbrachte ein paar Monate im Gefängnis in der Stadt Rio IV. Sie nahmen alle Bücher und Briefe mit, die er auf Russisch geschrieben hatte, Dinge, die nie zurückkehrten. Er wurde kurz vor den Wahlen freigelassen, weil sie keine politischen Gefangenen haben konnten und der einzige Vorwurf gegen meinen Vater war, ein Kommunist zu sein.

Was geschah mit seiner Familie in Weißrussland?
Er konnte nie in seine Heimat zurückkehren. Er kontaktierte die Familie dennoch mit Briefen, doch es dauerte eine lange Zeit bis sie die Angehörigen erhielten. Als er 1991 im Alter von 82 Jahren starb, fand deine Mutter Mariana die Briefe. Sie begann Russisch zu lernen und reiste 1998 bis nach Weißrussland zu ihnen.

War er zufrieden mit der Entscheidung, die er getroffen hatte?
Ich glaube ja, er hat eine nette Familie gegründet. Er hatte drei Enkelkinder, die er liebte. Er hat seinen Garten gepflegt. Er hatte im Allgemeinen ein gutes Leben.