So stellen sich viele eine Psychiatrie vor. Vorurteile und Vorbehalte prägen den Umgang mit den Erkrankten. Der Blick hinter die Mauern der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen bietet ein anderes Bild.
Die Schwestern unterscheiden sich nur durch die Namensschilder von den Patienten. Sie tragen Straßenkleidung und keine weißen Kittel. Die Leute bewegen sich frei durch ihre Stationen, und von Gummizellen gibt es keine Spur.
Das Gelände der LVR-Klinik erstreckt sich über mehrere Quadratkilometer. Man fühlt sich wie in einem Park. Bäume, altmodisch gebaute Häuser und große Rasenflächen. Auch ein kleiner Gutshof ist auf dem Gelände zu finden.
Ein 12-jähriges Mädchen betritt Gebäude 59, am Ende des Terrains. Mutig stellt es sich vor den Empfangsschalter und erklärt, es möchte seinen Vater zu einer körperlichen Entgiftung anmelden. Eines von vielen Schicksalen in der Klinik.
In der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen gebe es zurzeit 77 Betten, und im Quartal werden 500 bis 600 Menschen ambulant behandelt, sagt Heike Lützenkirchen, die Pflegedienstleiterin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen. Die Patienten im Alter von 18 bis 65 Jahren werden auf unterschiedliche Stationen aufgeteilt. Das wird abhängig vom Wohnort gemacht. Dies hat einen einfachen Grund: Die Menschen werden mit Selbsthilfegruppen zusammen gebracht. So besucht Hugo, der Leiter einer Selbsthilfegruppe in Leverkusen, jede Woche die Station 10. Die Patienten kennen ihn und haben nach ihrer Entlassung die Gewissheit, in ihrer Selbsthilfegruppe ein vertrautes Gesicht vorzufinden.
Bei Männern und Frauen gibt es unterschiedliche Suchttendenzen: Frauen neigen zur Tablettensucht, während bei Männern eher die Tendenz zu Alkoholismus hervortrete, beschreibt Frau Lützenkirchen.
Die Entziehungskur besteht aus zwei Teilen, der körperlichen Entgiftung und dem psychischen Entzug. Bei der körperlichen Entgiftung darf der Patient keine Art von abhängig machenden Mitteln zu sich nehmen, Zigaretten dürfen allerdings geraucht werden. Die Patienten bekommen Medikamente gegen die Entzugserscheinungen, denn dabei auftretende Halluzinationen können sehr gefährlich sein, da sie starke Angstzustände bei den Menschen hervorrufen können. Es gibt nicht nur Halluzinationen im Sinne von sehen, sondern auch Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. „In der Öffentlichkeit wird immer davon berichtet, dass man weiße Mäuse sieht, das habe ich hier aber noch nicht erlebt“, erklärt Frau Lützenkirchen.
Die körperliche Entgiftung dauert zwei bis drei Wochen, und danach ist für viele auch schon Schluss. Dieser Teil wird von der Krankenkasse bezahlt, doch das Rückfallrisiko beträgt 90 Prozent, nach einer zusätzlichen psychologischen Behandlung nur noch 40 Prozent. Im zweiten Teil des Entzuges steht der Patient unter enormen psychischen Druck. Viele Patienten halten diesem Druck nicht stand und brechen die Behandlung dann ab.
Für Drogensüchtige besteht die Möglichkeit Methadon, ein Beruhigungsmittel, anstelle von Drogen zu nehmen. Der Patient fährt jeden Tag zur LVR-Klinik und bekommt eine Dosis Methadon. Der Unterschied zur normalen Droge besteht darin, dass die Beschaffungskriminalität wegfällt. Außerdem werden die Drogen im Verkauf immer unterschiedlich gestreckt. Ein Drogenabhängiger, der es gewohnt ist ein Viertelgramm zu nehmen, kann bei einem weniger stark gestreckten Mittel sterben. Auch sind manche Drogen mit Toilettenreiniger oder ähnlichem gestreckt. Beim Methadon fallen diese Gefahren ganz weg. Auch können drei Viertel der Methadon-Umsteiger einer Arbeit nachgehen und schaffen es, eine Entziehungskur von Methadon machen.
Frau Lützenkirchen weist auch darauf hin, dass die Patienten mit der Sucht nach der „Einstiegs“-Droge Marihuana immer jünger werden, und das ist ein Problem, da darauf geachtet werden muss, dass z.B. ein 18-jähriger Einsteiger nicht mit erfahrenen Drogen-„Profis“, zusammengebracht werden, da der Drogenneuling in zwei Wochen alle Tricks von ihnen gelernt hätte.
Bei ambulanter Behandlung von Alkoholismus muss der Patient jeden Tag zur LVR-Klinik kommen. Dort bekommt er Medikamente gegen die Entzugserscheinungen. Außerdem wird gemessen, ob er Alkohol zu sich genommen hat. Dies ist ein Ansporn für den Patienten nichts zu trinken.
Es gibt Abhängige, die in der LVR-Klinik zu einer Entziehungskur waren, die aber erzählen, sie wären im Krankenhaus zum Entzug gewesen. Es kostet sie schon Überwindung zuzugeben, dass sie ein Problem haben, und dann noch zu erzählen, sie wären in der „Irrenanstalt“ gewesen und verlacht zu werden, wäre für sie schlimm. Doch im Krankenhaus kann man den Abhängigen nicht wirklich helfen, Das wäre so, als wenn man mit einem Hautproblem zum Hals-Nasen-Ohrenarzt ginge, sagt Heike Lützenkirchen.
Es ist wichtig, die Menschen nicht auszuschließen oder zu verlachen, weil sie in der LVR-Klinik sind oder waren, denn das ist oft der einzige Weg, damit ihnen geholfen wird und sie eines Tages ein normales Leben führen können.
Lara Maile und Marianne Wälwer, Leverkusen, Marienschule