Von Matthia Malki & Lia Cara Schenkel
11 Fragen – 11 Antworten
Rund 13,8 Millionen Menschen die in Deutschland leben, sind im Verlaufe ihres Lebens eingewandert. Für viele mag das in der heutigen Zeit nur eine Zahl in einer weiteren Statistik sein. Hinter jeder Zahl steckt jedoch ein Leben, eine individuelle Geschichte und ein Schicksal. Wenn wir uns trauen einander zuzuhören, dann können wir alle noch etwas dazulernen. Meine Interviewpartnerin Matthia Malki ist eine bemerkenswerte Person, eine sehr gute Schülerin und für mich persönlich ist sie eine Inspiration. Ich habe die Gelegenheit bekommen, ihr Fragen zu stellen und ich bin mir sicher, dass sich auch andere für ihre Antworten interessieren werden. Matthias Geschichte und Ansichten sind es wert gehört zu werden. Ob jung oder alt, Mann oder Frau, schwarz oder weiß, links oder rechts und alles was dazwischen liegt— Migration und Integration sind Themen, mit denen wir uns alle beschäftigen sollten, auch wenn es nur ein Interview sein mag, das wir zu diesem Thema lesen. Vielleicht können Matthia und ich genau mit diesem Interview für mehr Verständnis, Offenheit und Kommunikation auf beiden Seiten sorgen.
Woher kommst du? Wie lange lebst du schon in Deutschland?
Ich komme aus einer syrischen Stadt namens Al-Qamischli, die an den türkischen Grenzen im Nordosten liegt. Ich lebe in Deutschland seit März 2016, also seit knapp 5 Jahren.
Wieso seid ihr nach Deutschland gekommen?
Europa hat die Türen für syrische Flüchtlinge geöffnet und auch Deutschland war nicht zurückhaltend, wenn es darum ging, Migranten aufzunehmen. Wir haben mit unserer Entscheidung, überhaupt nach Europa zu flüchten, sehr gezögert. Wir hatten die Hoffnung, dass der Krieg ein Ende haben wird, aber die letzten Jahre meines Aufenthalts in Syrien wurden immer gefährlicher. Deutschland liegt nicht allzu weit vom Nahen Osten entfernt, hat günstige Lebensbedingungen, eine Krankenversicherung und eine gute Wirtschaft, weshalb es für Flüchtlinge ein bevorzugtes Land ist. Deshalb haben auch wir uns dazu entschlossen nach Deutschland zu fliehen.
Fühlst du dich wohl in Deutschland?
Ich finde es schwierig zu sagen, dass ich mich in Deutschland wohl fühle. Es gibt ganz viele Sachen hier, für die ich dankbar bin, wie z.B. Frieden, Familie, Gesundheit, Bildung und bessere Chancen. Ich bin davon überzeugt, dass der Mensch immer gute Sachen in seinem Leben findet, egal wo er lebt. Allerdings habe ich mich in Syrien, trotz der enormen Gefahren und Probleme, wohler gefühlt als hier in Deutschland. Das liegt meiner Meinung nach unter anderem daran, dass ich mich in Syrien zugehörig gefühlt habe und dass ich dort 16 Jahre lang lebte. Außerdem begegnen meiner Familie und mir in Deutschland sehr viele Herausforderungen. Eine Schwierigkeit ist die Sprache— es schmerzt echt, wenn du dich nicht äußern kannst. Es ist hart für mich zu sehen, wie meine Eltern unter der Sprachbarriere leiden. Es ist für sie unglaublich schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, ihren ehemaligen Beruf in Deutschland auszuüben.
Vermisst du Syrien?
Auf jeden Fall. Wie bereits erwähnt, habe ich in Syrien 16 Jahre lang gelebt. Ich vermisse die kleinsten Dinge: Die Straßen, die Häuser, die Läden, die Wände, die Zimmer meiner Wohnung, meine Bücher, meine Freunde und die Nachbarn, die ebenfalls geflüchtet sind. Meine Wurzeln sind in Syrien und ich habe immer noch schöne Erinnerungen an die Orte, denn auch während des Krieges war ich relativ glücklich. Mich tröstet die Tatsache, dass meine Stadt nicht mehr die Stadt ist, in der ich einmal lebte. Die meisten meiner Bekannten leben eben auch nicht mehr dort. Manche studieren im Ausland, andere sind nach Europa geflüchtet. Außerdem hatten meine Schwestern und ich keine Chancen mehr auf eine gute Bildung und meine Eltern hatten auf Grund des Krieges keine Arbeit mehr. In meiner Heimatstadt herrschen sehr viele Konflikte. Die IS-Kämpfer haben einen leichten Zugang zur Stadt und sollten sie die Region besetzen können, dann werden alle Christen getötet. Wie du siehst, zwingt mich die Lage in Syrien dazu, mein Heimweh zu ignorieren. Das ist sehr schwierig, aber ich arbeite daran.
Fühlst du dich gut integriert?
Jeder definiert „Integration“ anders. Meine Definition lautet: Ich bin gut integriert, wenn ich die Sprache gut beherrsche, meine Mitmenschen akzeptiere und auch ich von ihnen akzeptiert werde. Dass ich mich nicht mit jedem Deutschen verstehen kann, liegt nicht an einer fehlenden Integration. Ich selber habe deutsche Freunde und wir verstehen uns gut. Ich sage dir etwas: Syrien ist eine Mischung aus Völkern und Religionen, die zwar gemeinsame Tradition haben, aber auch ganz viele Unterschiede. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass ich eine syrische Gruppe treffe, mit der ich mich aufgrund der großen Unterschiede (Normen, Traditionen) nicht identifizieren kann. Diese besondere Erfahrung mit Syrern habe ich beispielsweise schonmal hier in Deutschland gemacht. Ich möchte noch hinzufügen, dass Integration immer auch von beiden Seiten erschwert werden kann. Es könnte zum Beispiel sein, dass sich ein Immigrant aufgrund seiner Schüchternheit oder fehlender Sprachkenntnisse nicht traut mit Einheimischen in Kontakt zu treten, was dazu führt, dass Einheimische wiederum denken, dass dieser „hochnäsige“ Ausländer sich nicht integrieren will. Andererseits kann es natürlich auch sein, dass die Einheimischen selbst schüchtern und zurückhaltend gegenüber den Neulingen sind. Beide Möglichkeiten erleben wir oft.
Was magst du an Deutschland?
Ganz viele Sachen: Ich finde es beeindruckend, dass die Menschen sich hier an der Politik beteiligen können. Außerdem sind die Menschen hier versichert (Krankenversicherung, Rentenversicherung) und dafür sollten sie wirklich dankbar sein. Ich bin noch Schülerin und wenn ich aus meiner Erfahrung heraus spreche, dann sind 99 Prozent der Lehrer die ich kenne einfach toll. Sie mögen ihren Beruf, sind ihrer Arbeit treu und behandeln die Schüler mit Respekt und Liebe. Das habe ich in meiner Heimat nicht erlebt. Außerdem mag ich es, dass begabte Menschen in Deutschland gut unterstützt und betreut werden.
Was magst du wiederum nicht an Deutschland?
Ich finde, dass die sozialen Beziehungen in Deutschland im Vergleich zu meiner Heimat Syrien relativ kühl wirken. Es tut mir weh, wenn ich von Kindern höre, deren Eltern geschieden oder getrennt leben. Ich finde es falsch, dass hier in Europa die Menschen so unbedacht eine Beziehung beginnen, Kinder bekommen und dann merken, dass sie nicht weiter machen wollen/können. In jedem Land gibt es Familienprobleme und ich möchte die Probleme, die es in Syrien gibt, auch nicht gutheißen. Wie bereits erwähnt existieren in Syrien, ganz viele verschiedene Traditionen, Völker und Teilgesellschaften und in meinem Umfeld war es nun einmal so, dass gemeinsame Kinder erst ein Thema wurden, wenn die Beziehung auch stabil war. Ich persönlich denke, dass funktionierende und zusammenhaltende Familien eine starke Gesellschaft bedeuten.
Einen anderen Punkt, den ich an Deutschland nicht mag, ist, dass manche Menschen uns indirekt den Eindruck geben, dass wir nicht dazugehörend und eine Belastung für die Gesellschaft sind.
Musstest du Erfahrungen mit Rassismus machen?
Nein. Gott sei Dank noch nicht. Die Deutschen, die ich bisher getroffen habe, akzeptieren mich. Ich schließe es aber nicht aus, in der Zukunft noch Erfahrungen mit Rassismus zu machen.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Wenn ich im Sommer 2022 mein Abitur in der Tasche habe, möchte ich ein Studium anfangen. Vielleicht in Richtung Chemie, Pharmazie, Gesundheit oder Ernährung. Ich kann es aber auch nicht ausschließen, meine Pläne noch zu ändern, denn ich habe ebenfalls ein großes Interesse an Literatur und Sprache. Ich liebe die deutsche Sprache. Ob ich allerdings in Deutschland bleiben werde, weiß ich noch nicht. Wenn es die Umstände erlauben, kann es gut sein, dass ich wieder nach Syrien zurück gehe.
Hast du eine Botschaft von dir an Deutschland zum Thema Migration?
Ich möchte zwei Botschaften an Deutschland richten. Die erste Botschaft richte ich an alle mutigen und gütigen Deutschen, die Migranten geholfen haben, auf ihren eigenen Beinen zu stehen: Danke, dass ihr uns unterstützt und an uns geglaubt habt, obwohl es von Anfang an nicht immer einfach war. Danke, dass ihr geduldig und tapfer seid, denn ohne euch würde unsere Integration nicht funktionieren. Ich habe zwar auch Verständnis dafür, wenn einige Deutsche wegen schlechter persönlicher Erfahrungen von der Migration die Nase voll haben, aber die Tatsache ist, dass nicht alle Migranten gleich sind. Ich kann es nicht verstehen, wenn ein Deutscher sich gegen Migranten ausspricht, weil er denkt, sie seien alle gleich und solche Vorurteile sich dann in seinem Verhalten wiederspiegeln. Ich bin nicht für die Fehler anderer Migranten verantwortlich. Von daher ist meine Botschaft an diese Menschen: Niemand verlässt sein Land, riskiert sein Leben und seine Existenz, nur um sich in Deutschland zu entspannen. Wir schätzen es sehr, dass Deutschland uns die Tür aufgemacht hat und wir wollen für diesen Gefallen etwas zurückgeben. Wir wollen keine Belastung für Deutschland sein, aber wir brauchen auch eure Unterstützung.
Möchtest du noch etwas loswerden?
Ja. Es ist immer wichtig, zu differenzieren. Ich rede von den Migranten, die das Gastland respektieren, denn es ist die Aufgabe jedes Migranten, sich anzustrengen, um selbstständig und unabhängig zu werden.
Autoren: Matthia Malki, Lia Cara Schenkel