Wir haben es getestet. Unser Experiment: Zwei Stunden im Rollstuhl. „Ich komme mir vor, als hätte ich einen Platten, so langsam bin ich“, meint Lea und schiebt sich in ihrem Rollstuhl schleichend vorwärts.
Die schiefen Blicke der Passanten, die die Mittelstraße in der Hildener Innenstadt entlang eilen, bemerkt sie dabei zunächst nicht. Sie muss sich erst an die Situation gewöhnen und traut sich nicht, auf die Reaktionen der Leute zu achten. Als Annika den Rollstuhl wieder schiebt, geht es besser voran. Zwar haben sonntags so ziemlich alle Geschäfte geschlossen, aber einen kurzen Einblick in ein Leben mit unbeweglichen Beinen können die beiden trotzdem erlangen.
Dabei gehören das langsame Tempo und auch die kalten Hände eher zu den unwichtigen Problemen. „Wie soll man denn bitte da hochkommen?“, stellt sich die Frage, als Lea und Annika im Stadtpark vor einer kurzen Treppe mit dazugehöriger steiler Rampe stehen. „Gar nicht“, lautet die Antwort, und wieder einmal muss ein weiterer Umweg gefahren werden.
Nichts Neues. Das Experiment hatte ja bereits mit einer problematischen Türschwelle begonnen. „Ohne den richtigen Schwung konnte ich zum Beispiel schon leichte Kanten im Boden gar nicht nehmen, und auch draußen ist man als Gehbehinderter häufig auf Hilfe angewiesen“, stimmt Monika S., kurzzeitige Rollstuhlfahrerin, der Erfahrung zu.
Rund 1,56 Millionen Menschen in Deutschland müssen mit dem Schicksal, ihre Beine nicht gebrauchen zu können, ihren Alltag bestreiten. So können bereits Türen ohne Automatik zu einem zeitaufwändigen Hindernis werden, und auch weicher und unebener Boden drosselt die Geschwindigkeit gehörig.
Trotz alledem waren Lea und Annika relativ positiv überrascht von den behindertengerechten Einrichtungen in zumindest amtlichen Gebäuden und auch in vielen Geschäften auf der Mittelstraße. Einige Menschen begegneten ihnen mit Höflichkeit und Hilfsbereitschaft, hielten Türen auf und machten etwas Platz in einer engen Bäckerei.
„Es war eine interessante Erfahrung, und wir werden in Zukunft Menschen mit Behinderungen mehr unterstützen. Wir haben das ja jetzt nur für kurze Zeit erlebt, aber wenn man sein ganzes Leben lang an einen Rollstuhl gebunden ist, sollten wir das aus einem anderen Blickwinkel betrachten“, nehmen sich die Mädchen vor, während Annika sich über Muskelkater in ihren Armen beschwert.
Zwei Stunden lang einen Rollstuhl zu schieben, hatte sie sich nicht so anstrengend vorgestellt.
Lea Jäschke, Annika Ketel, Hilden, Priv.dietr.-Bonhoeffer-Gym.