Ein greller Schrei, dann wird alles still; man kann die Sorgen in ihren Augen sehen. Sie steht auf und läuft so schnell wie möglich in ihr Wohnzimmer – dort sitzt nämlich ihre Schwester. Der Körper dieser verkrampft und sie zuckt zusammen, als würde sie immer wieder Stromschläge bekommen. Sie hatte wieder einen epileptischen Anfall.
Ursula M. läuft schnell zum Regal, um das Beruhigungmedikament, zu holen; ein Wirkstoff namens Lorazepam, bekannt unter dem Markennamen Tavor. Kurz nachdem sie es ihrer Schwester verabreicht, beruhigt diese sich und schläft ein. Sie wird schnell mit dem Rollstuhl zum Bett gebracht. Es kehrt zwar etwas Ruhe wieder ein, doch Ungewissheit und Angst herrschen trotzdem.
Der Alltag sieht nicht immer so aus, aber Ursula (78) klagt auch nie darüber zu wenig zu tun zu haben. Ihre Schwester Birgit (59), leidet am Down Syndrom, eine genetisch bedingte Behinderung, die durch ein zusätzliches Chromosom verursacht wird. Birgit war nicht immer bei einfachsten Aufgaben auf Hilfe angewiesen; sie ging früher sogar zur Schule – eine Werkstatt für behinderte Menschen – doch mit dem Alter reduzierten sich ihre Fähigkeiten. Somit ist Ursula seit den letzten paar Jahren dafür verantwortlich alle körperliche Betätigungen aus zu tragen; sie zieht sie an, duscht sie, macht ihr Frühstück usw.
Das macht Ursula jetzt schon seit über 35 Jahren. Früher mit ihren Eltern, jetzt, in den letzten 15 Jahren, ist sie fast ganz alleine für Birgits intensive Pflege verantwortlich. Es kommt zwei Mal wöchentlich eine Physiotherapeutin für 20 Minuten und zwei mal im Monat kommt eine Pflegerin von dem örtlichen Krankenhaus, um Ursula abzulösen.
Zusätzlich schaut alle drei Monate eine Arbeiterin von der Pflegeversicherung vorbei, um eine Visite durch zu führen. Das ist eine Standardkontrolle bei der häuslichen Pflege, damit die Pflegebedürftigkeit ermittelt werden kann, sodass der Patient/die Patientin in eine von drei Pflegestufen eingestuft werden kann. Dieser Pflegegrad bestimmt auch, wie viel Geld von der Pflegeversicherung und Kasse monatlich ausgezahlt wird. Dieses Geld kann dann in die häusliche Pflege investiert werden, bei der die sorgeberechtigte Person/Betreuerin sich selber um die pflegebedürftige Person kümmert, jedoch alternativ auch in die häusliche Krankenpflege oder in ein Pflegeheim.
Ursula hat sich für die häusliche Pflege entschieden; einerseits und am aller Wichtigsten, weil sie bei ihrer Schwester sein will und sich Sorgen machen würde, andererseits auch aus finanziellen Gründen: Das Geld von der Pflegekasse reicht vorne und hinten nicht und aus eigener Kasse wäre es langfristig nicht erschwinglich, Birgit einen Platz im Pflegeheim zu ermöglichen. Außerdem hat Ursula es ihren Eltern versprochen, dass sie sich um Birgit kümmern würde. Sie sieht es als ihr Lebenswerk und wird weiterhin alles Menschenmögliche tun für ihre Schwester. Sie wird dabei sein, bis zum Schluss.
(Namen der Personen geändert)
Eric Hammarlund, 9, International School Of Düsseldorf