Vor vier Jahren wurde das „Turbo-Abitur“ auf allen Gymnasien eingeführt. Die Schüler absolvieren bis zum Abitur acht Schuljahre (G8), Schüler von Gesamtschulen neun Jahre. Das heißt, dass Gymnasiasten den Stoff in acht Jahren lernen, die Schüler der Gesamtschulen dagegen haben neun Jahre Zeit. Trotz der komprimierten acht Jahre blieb der Lernplan bestehen. Über dieses Thema hat Melanie Dobrisch mit einer dreifachen Mutter, Paula Lipp (44), gesprochen.
Wie stehen sie zu dem „Turbo-Abi“?
Ich habe drei Kinder. Mein 18-jähriger Sohn Timo besucht die 11. Klasse und meine elfjährige Tochter Nina die 6. Klasse eines Gymnasiums. Meine 15-jährige Tochter Marie geht in die 7. Klasse einer Gesamtschule. Ich finde das Turbo-Abi einfach nur schlecht.
Warum finden Sie es so schlecht?
Weil meine Tochter Nina keine Zeit mehr für ihre Hobbys hat. Sie musste ihr Hobby sogar bereits aufgeben. Alles dreht sich momentan in ihrem Leben nur um Schule und sonst nichts. Selbst am Wochenende. Nina hat bereits einmal in der Woche Unterricht bis 16 Uhr. Und das mit ihren erst elf Jahren. Danach kommen noch die Hausaufgaben und das Lernen, was sie natürlich auch noch nach der Schule machen muss. Zudem steigt auch der Zeitdruck für die Lehrer, die für den gleichen Lernstoff nun viel weniger Zeit zur Verfügung haben, diesen den Schülern zu vermitteln. Es wird von Seiten des Kultusministeriums vorausgesetzt, dass die Kinder sich zu Hause hinsetzen und das, was sie nicht verstanden haben, nacharbeiten. So kommt es fast jeden Tag vor, dass Nina bis 19 Uhr an ihrem Schreibtisch sitzt und Schulisches macht. Das finde ich sehr schlecht, zumal ich Vergleichsmöglichkeiten habe. Nina nimmt heute in der 6. Klasse des Gymnasiums schon den Stoff durch, den Marie erst jetzt in der 7. durchnimmt. Nina ist hoffnungslos mit der Situation überfordert. Sie weint oft, klagt über Kopfschmerzen und schläft immer schlechter ein, weil sie sich selber mit den Gedanken verrückt macht, nicht mitzukommen.
Wie sieht es denn mit den Geschwistern aus?
Bei denen ist alles anders. Sie gehen weiterhin ihren Hobbys und Sport nach. Trotzdem haben sie genug Zeit zu lernen. Es kommt natürlich auch vor, dass sie länger an den Hausaufgaben sitzen und Sport ausfallen lassen müssen, aber selten.
Können die älteren Geschwister Nina nicht helfen?
Ja, und das tun sie auch so gut sie können. Man darf dabei nur nicht vergessen: Sie sind auch Schüler. Natürlich haben sie, nachdem sie fertig sind, manchmal keine Lust und Motivation, Nina zu unterstützen. Was natürlich auch nicht ihre Aufgabe ist. Ich muss mich viel mehr um Nina kümmern, als damals um die anderen beiden. Nicht nur schulisch, auch moralisch.
Dreht sich bei Ihnen alles um Schule? Was würden Sie gerne dagegen tun?
Ja, sehr! Diesen Stress bezeichnen wir als ’schulisches Gefängnis‘. Mein Vorschlag: Ganz einfach – G8 abschaffen!
Melanie Dobrosch, Düsseldorf, Comenius-Gymnasium