„Papa, Papa. Hallo Papa.“ Dem 38-jährigen Michael N. schießen angesichts des kleinen Knirpses auf dem Bildschirm seines Notebooks Tränen in die Augen. Seit Wochen konnte er seinen Sohn (2) und seine Frau nicht mehr in die Arme schließen, denn er sitzt tausende Kilometer weit weg in Afghanistan vor einem Computer und kann lediglich Videos seiner Familie anschauen.
Michael N. befasst sich bei der Bundeswehr mit Computern und technischen Geräten. Er ist IT-Systemadministrator und Berufssoldat. Da sein Job für ihn „nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung“ ist, befolgt er selbstverständlich den Befehl, die Truppe in Afghanistan zu unterstützen.
Dem Leben im „Camp Marmal“ in Mazar-e Sharif muss Michael N. sich zunächst gut anpassen. Es ist sehr heiß mitten in der Wüste. Das Thermometer zeigt über 40 Grad und die Luft ist durch feinsten Staub verschmutzt. Egal wo der 38-Jährige sich bewegt, er muss immer seine Waffe mit sich führen und außerhalb des Lagers eine schusssichere Weste tragen, was häufig von einem unangenehmen Gefühl begleitet ist. Da er 24 Stunden, sieben Tage die Woche einsatzbereit sein muss, nutzt der Hauptfeldwebel die wenige Freizeit im camp-eigenen Fitnessstudio, um einfach nur abzuschalten und das Elend, dass er in Afghanistan zu Gesicht bekommt, zu vergessen: die unterernährten Kinder auf den verdreckten Straßen, die heruntergekommenen Lehmhütten und der viele Müll. Doch so ganz vergessen kann und will er seine Umgebung nicht. So gilt seine Devise: „Lieber ein Prozent Hilfe als 99 Prozent Mitleid!“ Er engagiert sich in Hilfsprojekten vor Ort und organisiert beispielsweise Schulmaterial für Schüler.
So ist für Michael N. das tägliche Telefonat mit seiner Frau noch bedeutungsvoller. „Die Telefonrechnung hätte keiner sehen wollen.“ Ruhige Stunden ganz allein gibt es nicht. Zusammen mit zwei Kameraden teilt er sich einen kleinen, schusssicheren Container mit spartanischer Einrichtung: Betten, Schrank, Stuhl, Tisch. Bei circa 3600 Soldaten im gesamten Lager kann von Privatsphäre wirklich nicht die Rede sein. Diese müssen sich dennoch nicht ganz von der Außenwelt abgeschnitten fühlen: Es gibt einen Kaufladen, eine Poststelle, einen Wäscheservice und einen Basar. Nur dem afghanischen Frisör will Michael N. nicht so recht trauen und lässt sich die Haare lieber von einem Kameraden schneiden. Und Essen? Gekocht wird europäisch und es schmeckt Michael N. gut. Aber auch kleine Luxusmomente sollen ihm gegönnt sein: „Ich habe mir extra aus Deutschland Nutella ins Camp einfliegen lassen.“
Und dann ist der große Tag gekommen: Michael N. ist wieder zuhause. Nach 128 Tagen kann er endlich seine kleine Familie in die Arme schließen. Einen Moment vergisst er jedoch nie: Als er das erste Mal wieder zur Arbeit fahren möchte, fängt sein kleiner Sohn schrecklich an zu weinen und zu schreien. Er weiß sehr wohl, wo sein Vater war und hat Angst, dass sein Papa wieder so lange weggeht. „Es hat mir fast das Herz gebrochen.“
Franziska Jürgens, Goch, Gymnasium der Stadt Goch