Gedenken – Zwischen Erinnerung und Zukunft

Viele von uns wissen noch, wo sie am 11. September 2001 gewesen sind. Dave Hood war einer derjenigen, die im World Trade Center gearbeitet und den Terroranschlag mit zwei Flugzeugen überlebt haben. Heute erzählt er New-York-Besuchern seine Geschichte.

„If you see the light, come to the light.“ – Dieser Satz ist das Erste, an das sich Dave Hood nach seiner Flucht aus dem Nordturm des World Trade Centers (WTC) in New York City erinnert. „Ich wollte mich vor unserem Meeting noch mal eben frisch machen, als plötzlich ein Ruck durch das Gebäude ging. Ich wunderte mich zwar, machte mir aber noch keine Sorgen. Alle meine Kollegen waren
weg, aber ich dachte mir: Gut, so kannst du entspannter arbeiten“, erzählt er 15 Jahre später.

Die Erschütterung ging um genau 08:46:30 Uhr durch den Turm, als der von Terroristen entführte American-Airlines-Flug am 11. September 2001 oberhalb des 90. Stockwerks in den Nordturm des WTC gelenkt wurde.
Während die oberen Etagen des Büroturms, des Sitzes der Port Authority of New York and New Jersey (PANYNJ), bereits brannten, haben sich viele noch keine Sorgen gemacht: „Wir wussten ja, dass beim Bau die Möglichkeit einer Flugzeugkollision bedacht wurde.“ Nachdem 1945 ein Flugzeug nach einer Verkettung unglücklicher Umstände in das Empire State Building gerast war, hatten die Planer des WTC ein ähnliches Ereignis in ihre Planungen aufgenommen. Die Massen des brennenden Kerosins aber sorgten dafür, dass am 11. September tragende Elemente des Nordturms wegschmolzen und das Gebäude 102 Minuten nach dem Flugzeugaufprall einstürzte.

„Von dem Brand 20 Etagen über mir hat mir die Polizei am Telefon erzählt, als sie sich wunderte, wieso in meiner Abteilung noch jemand ans Telefon ging. Ungefähr um 10 Uhr startete der Feueralarm, also lief ich nach unten. Auf der Treppe habe ich noch mit einer langjährigen Kollegin geredet, sie konnte später nicht unter den Opfern identifiziert werden. Wenige Sekunden nach dem Verlassen des Gebäudes spürte ich plötzlich eine starke Hitzewelle in meinem Rücken. Die nächste Erinnerung ist die an Schmerzen.“ Die darauffolgende Nacht verbrachte Dave Hood im Krankenhaus, wo er von dem minutenlangen Schreien seines Zimmernachbarn, der mit schwersten Verbrennungen von knapp unterhalb des Einschlagpunkts gerettet worden war, aufwachte. Nach seinem Befinden gefragt, rief dieser: „I saw the pilot’s eyes.“

Hood ist Rechtsanwalt bei der Port Authority und war 2001 mit der rechtlichen Aufarbeitung des Sprengstoffanschlags auf das WTC von 1993
befasst. Auch heute noch arbeitet er für die Port Authority und führt in seiner freien Zeit Touren auf dem Areal des WTC. Seine Motivation, große Teile seines Wochenendes als Tourguide zu verbringen, beschreibt er als „eine Verpflichtung, die ich fühle, die Geschichte meiner an diesem Tag gestorbenen Kolleginnen und
Kollegen weiterzugeben“. So führt er seine Gäste um das berühmte 9/11 Memorial mit den eingravierten Namen der Opfer und zeigt ihnen nicht nur die Seite der Erinnerung, sondern auch das neue Handelszentrum: den 541,3 Meter hohen Wolkenkratzer One World Trade Center sowie den hochmodernen Bahnhof „The Eye“.

Am Ort der Anschläge des 11. September 2001 treffen damit nicht nur Touristen und Trauernde aufeinander, es wird auch architektonisch nach vorne geblickt.

 

Der Autor Marcel Kolb konnte im Rahmen einer von der Young Leaders GmbH organisierten Recherchereise nach New York an der Führung am World Trade Center teilnehmen. Die Young Leaders GmbH veranstaltet Seminare zu politischen Themen für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich sozial engagieren.

 

Marcel Kolb