Keine Schule – Was für manche deutsche Schüler wie ein Traum klingt, war für die 15-jährige A. in Syrien eine Zeit voller Angst, Entbehrungen und Ungewissheit. Ein Flüchtlingsmädchen erzählt der Zeit, in der sie wegen des Krieges keine Schule besuchen konnte.
„Die Integration von Flüchtlingen stellt Schulen vor große Aufgaben. Kann das klappen?” schrieb Spiegel online am 9. Dezember 2015. Da die Internationale Schule von keinen Flüchtlingen besucht wird, ich aber immer wieder von Freunden etwas über die Schwierigkeiten von Flüchtlingskindern beim Schulbesuch hörte, wollte ich Näheres darüber erfahren. Als ein gleichaltriges Flüchtlingsmädchen in unsere Nachbarschaft zog, habe ich sie besucht und sie gebeten, über ihre Erlebnisse zu berichten.
A. ist 15 Jahre alt, hat fünf Geschwister und kommt aus der syrischen Stadt Rakka. Als der Krieg ausbrach, besuchte sie die fünfte Klasse. Seitdem konnte sie mit ihren Geschwistern nicht mehr vor die Tür gehen, da sie in ständiger Angst und Schrecken vor den Rebellen lebten und täglich um ihr Leben fürchten mussten.
Nie wusste sie, ob Strom oder Versorgung vorhanden waren und sie musste lernen, einige Tage ohne Essen und Trinken auszukommen. Spielen, Spazierengehen oder einfach mal vor die Tür treten – all das war undenkbar, da es viel zu unsicher war, wann die Rebellen erneut durch die Straßen ziehen würden.
In schrecklicher Erinnerung hat A. den Tag, als Rebellen ihr Haus stürmten und aus dem obersten Stockwerk auf Flugzeuge mit Raketen schossen.
Wegen der schlechten Versorgungslage und der ständigen Angst, in der sie lebten, entschieden sie sich mit ihren Nachbarn zur Flucht. A. und ihre Familie flohen an den Stadtrand zu ihrer Großmutter. Nach zwei Wochen flohen sie weiter nach Istanbul und suchten bei einem Freund Unterkunft. Da sie dort sehr beengt leben mussten, kehrten sie in ihre Heimatstadt zurück. An Schule war in dieser Zeit nicht mehr zu denken. Nachdem ihr Haus zerstört wurde, gab es keine Hoffnung mehr für sie in Rakka zu bleiben. Sie flohen dann nach Neizip, einem kleinen Dorf in der Türkei. Dort blieb die Mutter mit fünf Kindern zurück, während der Vater sich mit einem ihrer Brüder auf den Weg zu Fuß nach Deutschland machte. Nach zwei Monaten Ungewissheit erhielten sie die Nachricht, dass die Mutter, die zwei Söhne und A. nachkommen durften. Ihre beiden älteren Schwestern durften nicht nach Deutschland einreisen, da sie über 18 Jahre alt waren und ihnen deshalb bis heute das Visum verweigert wird.
Auch in Deutschland dauerte es noch lange, bis A. wieder in eine Schule gehen konnte. Zuerst kam sie in eine Gesamtschule und wohnte mit ihrer Familie in einer Einzimmerwohnung in Düsseldorf. Sie besuchte damals die Joseph-Beuys Schule, die ihr aber nicht so sehr gefiel, weil sie dort nicht die nötige Förderung bekam, die sie sich erhofft hatte.
Durch die Vermittlung der Evangelischen Kirche wurde es der Familie ermöglicht, umzuziehen und A. konnte auf ein Gymnasium wechseln. Dort hat sie Unterricht mit anderen Flüchtlingskindern und Kindern, die ebenfalls noch Deutsch lernen müssen. Sie besucht die 8. Klasse, weil sie den versäumten Unterricht während der Kriegsjahre nachholen muss. Ihr großes Ziel ist es aber, ab der 10. Klasse mit anderen deutschen Kindern am normalen Unterricht teilnehmen zu können und ihr Abitur zu schaffen. Sie träumt davon, einmal Zahnärztin zu werden und würde dann am liebsten in ihre Heimat zurückkehren, sobald der Krieg in Syrien beendet ist. A. leidet sehr unter der Trennung von ihren Verwandten und ihren Freunden und sehnt sich danach diese wiederzusehen.
Schule! Wenn Kinder dieses Wort hören, denken sie meistens an etwas Schlechtes, weil viele nicht gerne zur Schule gehen. Schule bedeutet aber auch lernen zu dürfen, um etwas im Leben zu erreichen, auch wenn man dafür hart arbeiten muss. Die Frage, ob A. lieber zur Schule gegangen wäre, als vier Jahre lang zu Hause zu sitzen und auf der Flucht zu sein, brauche ich gar nicht zu stellen. Obwohl A. mit allen Kräften versuchen wird, die versäumten Schuljahre nachzuholen, wird das Erlernen der deutschen Sprache sie noch viel Kraft kosten.
Ich hätte mich gerne noch viel intensiver mit A. über ihre Fluchtsituation, ihre jetzige Familiensituation und, wie sie Schule in Deutschland erlebt, unterhalten. Leider war dies nicht möglich, da uns beiden für eine engere und ausführliche Kommunikation die notwendigen Sprachkenntnisse fehlten.
Greta Ernst, Klasse 9.2, International School Of Düsseldorf