Flexibel sein ist alles! – Aus dem Tagebuch eines Handys

Der Kauftag. Handystore Krefeld! Das ist mein Zuhause – bis jetzt. Denn ich bin das Sony Ericsson G900, das beste und neueste Handy dieses Jahres. Ich kann alles und ich hoffe, dass mich bald irgendjemand genau deswegen kauft.

Die drei Tage, die ich jetzt hier liege, waren schon der pure Horror. Alle meine Artgenossen wurden bereits verkauft, nur ich bin noch übrig. Aber da, ich sehe ein Mädchen auf mich zu kommen! Sie bleibt vor mir stehen und guckt ein wenig skeptisch. Okay, ich gebe zu, manche Handyverträge sind die totale Abzocke. Sie nimmt mich in die Hand und dreht mich ein paar mal hin und her. Ich setze mein schönstes Lächeln auf und tatsächlich: Das Mädchen lächelt nun auch und nimmt mich mit an die Kasse. Ich jubele: „Ich bin verkauft! Ich bin verkauft!“ und strecke den anderen Handys, die mich neidisch angucken, die Zunge raus.

Als wir dann in meinem neuen Zuhause ankommen, muss meine neue Freundin mich natürlich direkt ihrer ganzen Familie zeigen und ich sehe stolz, wie begeistert ihr Bruder mich anstarrt. Wie ich schnell herausfinde, heißt meine Besitzerin Mia und sie speichert direkt „tausende“ von Nummern in mir ab. Und das soll erst der Anfang sein!

Eine Woche später

Heute darf ich wieder mit in die Schule. Ich werde jeden Tag von Mias Freundinnen bewundert und sie hören meine Musik und freuen sich über die gute Qualität der Bilder, die man mit mir schießen kann. Mia hat sehr viele Freunde und daher telefoniert sie immer, und der Mitteilungsspeicher ist schon nach einer Woche so gut wie voll.

Mein toller Vertrag interessiert sie gar nicht. Das ist die Sache ihrer Eltern. Die sind natürlich sauer, denn Mia verbraucht ihre 50 monatlichen Frei-SMS in nur einer Woche, und ihre Eltern müssen bezahlen. Nicht nur Mias Eltern mögen mich nicht. Auch ihre Lehrer finden, dass ich im Unterricht mit meinem Klingeln nur störe und daher werde ich dann immer eingesammelt. Ich darf dann auf dem Lehrertisch liegen und erst nach dem Unterricht komme ich – nach einer Strafpredigt – wieder zurück zu meiner geliebten Besitzerin.

Es macht echt Spaß mit ihr. Neulich hat sie mich mit drei anderen Handys – gute Kumpels von mir – Popcorn machen lasse. Schräge Idee, aber lustig und lecker! Was nicht so sehr Spaß macht ist, dass ich schon so viele Kratzer und Macken vom runterfallen habe, denn Mia ist ziemlich schlampig und lässt mich gern mal fallen oder lässt mich sogar irgendwo liegen – findet mich zum Glück aber immer wieder…

Noch später

…außer an jenem Mittwoch, da wache ich nach meinem Mittagsschläfchen auf und finde mich auf einer Bank im Schönwasserpark wieder, den ich schon durch Mias tolle Unternehmungen kenne. Aber wo ist Mia? Ich kann sie nirgendwo sehen. Ich weiß direkt: Sie hat mich schon wieder vergessen! Wahrscheinlich wird sie gar nicht mehr nach mir suchen, so wie ich mittlerweile aussehe. Wenn ich ehrlich bin, hat mir das Leben bei Mia immer weniger Spaß gemacht, denn ich hatte sehr viel zu tun und wenn ich abends dann an die Steckdose angeschlossen wurde, war ich völlig schlapp und schlief total erschöpft ein.

So liege ich nun da und denke darüber nach, was ich jetzt alleine machen soll. Ich hab‘ noch immer keine Idee, als es plötzlich ganz dunkel wird. Ich höre ein „Oh!“, und es wird wieder hell. Ein alter Mann hat sich versehentlich auf mich gesetzt. Er guckt mich fasziniert an. Ob er überhaupt weiß, dass ich ein megaschlaues Handy bin, auf das man sich nicht einfach draufzusetzen hat? Er nimmt mich in die Hand, steckt mich in seine Jackentasche, wo es total übel nach Tabak stinkt.

Was will dieser Opa mit mir? Etwa Musik hören? Oder Bilder von seinen Wellensittichen machen? Dass ich nicht lache! Tatsächlich besitzt Heinrich Gerdike – wie der Opa heißt – Wellensittiche. Sie stehen auf einer großen Holztruhe in einer altmodisch eingerichteten Wohnung. Heinrich stützt sich auf seinen Gehstock, holt sich seine Lupe und kommt wieder zu mir zurück. Er untersucht mich von oben bis unten. Anscheinend weiß er nicht so recht, was er mit mir anfangen soll.

Am nächsten Tag schleppt er mich in einen kleinen Laden, in dem es viele verschiedene Elektrogeräte zu kaufen gibt. An der Kasse steht eine Frau, die Heinrich nun anspricht: „Entschuldigen Sie, ich habe im Park so ein Telefon gefunden und da es anscheinend keiner vermisst, dachte ich, ich behalte es. Leider weiß ich nicht so recht, wie es funktioniert. Können Sie mir vielleicht helfen?“ Was bildet der Typ sich eigentlich ein, mich Telefon zu nennen? Ich bin ein waschechtes Handy!

Die Frau braucht Stunden um Heinrich zu erklären, wie man jemanden anruft. Endlich scheint Heinrich es verstanden zu haben und er bedankt sich höflich bei der Verkäuferin. Aber trotz der Erläuterung benutzt Heinrich mich so gut wie gar nicht, ich bin immer ausgeschaltet. Und wenn ich dann mal angeschaltet bin, kommen keine Anrufe oder bestenfalls Nachrichten, in denen es immer um total langweilige Dinge wie „Hallo Papa! Ich habe einen Unfall gebaut! Kannst du mit der Versicherung telefonieren?“ geht.

Neulich hat seine Tochter angerufen und stellt euch vor, er schrie richtig, weil er dachte, dass die Verbindung bei uns Handys schlecht sei. Ich wünsche mir so sehr das Leben bei Mia zurück. Dort hatte ich wenigstens was zu tun. Sie hätte in einer Stunde tausende SMS schreiben können, während Heinrich in der Zeit gerade mal eine schafft, in der dann nur ein Satz drinsteht. Er sollte sich langsam wirklich einprägen, auf welcher Taste welcher Buchstabe liegt.

Aber eins hab‘ ich gelernt: Als Handy musst du flexibel sein und unterschiedlichen Wünschen gerecht werden.

Bianca Hamm, Krefeld, Ricarda-Huch-Gymnasium