Durch das Mundloch gelangen wir auf die Tribüne der Nordkurve in der BayArena. Dieser Moment ist überwältigend.
Während sich die Ultras, die treuesten Anhänger der Werkself, mit Gesängen auf das Spiel einstimmen, läuft auf den Videowänden Werbung. Zehn Minuten später beginnt die Hymne, in der Nordkurve erhebt man sich und hält seinen Schal oder schwenkt eine der unzähligen Fahnen. Circa 8000 Menschen haben hier ihren Platz, die ganze BayArena hat 30.210 Plätze, doch viele dieser sind noch frei. Sie werden sich erst kurz vor Beginn füllen, ein Manko der Leverkusener Fankultur, das schon alt ist.
Das Spiel hat begonnen, in der Nordkurve feiern die Fans ihre Mannschaft. Ausgerechnet einer der größten Fans steht dort nicht: Rüdiger „Rudi“ Vollborn. Der ehemalige Torwart ist mit 401 Bundesligaeinsätzen Bayer 04 Rekordspieler und gewann als einziger Spieler mit Bayer Leverkusen sowohl den UEFA-Cup 1988 als auch den DFB-Pokal 1993, die bis heute einzigen großen Titel von Bayer 04. „Ich habe nur ein einziges Spiel von der Bande vor der Nordkurve aus verfolgt und ich werde es nie wieder tun. Denn ich kenne die Spieler auf dem Platz persönlich und weiß, dass sie alle sehr sympathisch sind. Wenn diese nun bei missglückten Aktionen von den Fans beschimpft werden, ist das für mich nicht auszuhalten“, sagt er. Heute arbeitet Vollborn mit drei Kollegen als Fanbeauftragter. „Wir sind so etwas wie der ADAC für Fans“, so Vollborn. „Für Fans, aber auch für Ordner und Polizei sind wir Ansprechpartner und vermitteln so auch zwischen den einzelnen Seiten.“
Die Mannschaft hat das 1:0 geschossen. Die Fans feiern das Tor, die Torhymne läuft. Dann ruft der Stadionsprecher den Vornamen des Torschützen, die Fans antworten mit dem Nachnamen. Die Fans stimmen an: „Unser Leben für unsere Liebe, unser Leben für unsern Verein, unser Leben für unseren Bayer, so war es und wird’s immer sein.“ Eine klare Sache für Fans, aber normalerweise nicht für Spieler. Anders bei Vollborn. Er kam 1981 nach Leverkusen und ist dort immer geblieben. Nach seiner aktiven Laufbahn arbeitete er zunächst als Torwarttrainer, jetzt als Fanbeauftragter.
Jetzt hat Bayer 04 den Ausgleich hinnehmen müssen, die Stimmung ist etwas eingeschlafen. Das ist ein weiteres Manko der Leverkusener Fanszene: Wenn es gut läuft, ist die Stimmung sehr gut, bei Gegentoren oder einer Niederlage meckern manche Fans und viele machen beim Support nicht mehr richtig mit. Dann hört man nur noch die Ultras. „Die Ultras sind etwas eigen, der Umgang mit ihnen ist nicht immer leicht“, sagt Vollborn. „Aber sie sind unglaublich wichtig für Vereine. Sie sorgen überhaupt dafür, dass in den Stadien eine tolle Atmosphäre herrscht.“ Auch er sieht die Problematik der schlechteren Stimmung bei schlechtem Spielverlauf. „Um einmal Meister zu werden, braucht man nicht nur ein gutes Team mit gutem Trainer. Die Fans müssen 34 Spiele bedingungslosen Support leisten, egal wie es läuft. Dazu braucht man auch den Glauben, dass es mit dem Erfolg klappen könnte. Unter Christoph Daum war dieser Glauben da, die Stimmung war der Wahnsinn, doch mit den vielen Vizetiteln haben viele diesen Glauben verloren“, findet Vollborn.
Das Spiel ist vorbei, Leverkusen hat doch noch gewonnen. Mit einem Plakat dreht die Mannschaft eine Ehrenrunde und dankt den Fans für die tolle Saison, auch wenn es wieder nicht zur Meisterschaft reichte.
Nick Adams, Jaspar Paulus, 8b, Marienschule Leverkusen