Sie wollte frei sein, von ihrer Mutter akzeptiert werden, sie wollte selbstständig werden und alleine zur Schule gehen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem sie zum ersten Mal alleine zur Schule gehen wollte und sich nicht von ihrer Mutter verabschiedet hatte, wurde sie entführt.
Es war das Jahr 1998, als Natascha Kampusch im Alter von zehn Jahren von einem psychisch kranken Mann, der aber nicht den Anschein machte, in einen Lieferwagen gezogen wurde. Am Abend ihres ersten Tages in dem Verließ bat Natascha ihn, bei ihr zu bleiben, sie ordentlich ins Bett zu bringen, ihr eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, und sie wünschte sich sogar einen Gute-Nacht-Kuss von ihm. Das war ein verzweifelter Versuch die Illusion zu schaffen, dass doch alles „normal“ sei und ihr das Gefühl zu geben, geborgen zu sein.
Der Täter unterdrückte Natascha und hielt sie unter seiner Kontrolle. Er verbrannte alle ihre Sachen, die sie an das „reale“ Leben erinnerten, er gab ihr sogar einen anderen Namen („Bibiana“). Er sagte ihr immer wieder Sätze, wie „Du hast keine Familie mehr. Ich bin deine Familie. Ich bin dein Vater, deine Mutter, deine Oma und deine Schwestern. Ich bin jetzt alles für dich. Du hast keine Vergangenheit mehr. Du hast es so viel besser bei mir. Du hast Glück, dass ich dich aufgenommen habe und mich so gut um dich kümmere. Du gehörst nur mir. Ich habe dich erschaffen.“
Wolfgang Priklopil, Nataschas Entführer, hielt sie 3095 Tage bei sich, die meiste Zeit lebte sie im Verließ, tief unter der Erde, stark verrigelt, auf circa fünf Quadratmetern, wo sie kochen, waschen, schlafen und Toilettengänge tätigen konnte. Später, als sie in seinen Augen alt genug war, musste sie Arbeiten für den Täter verrichten, meist wenig bekleidet. Diese Arbeiten waren nicht altersgemäß. Priklopil tat ihr des öfteren weh, aber konnte mit dem Gefühl, sie verletzt zu haben, nicht leben, so gab er ihr dann oft ein Entschuldigungsgeschenk. Er schleppte sie an den Füßen haltend die Treppen herunter, wobei sie ständig mit dem Kopf aufschlug. Ihre Wunden, die sie sich durch ihn zuzog, konnten nie richtig heilen, da er sich nicht darum kümmerte.
Durch die Sicherheit, dass Natascha nur unter seiner Kontrolle war, erlaubte er ihr unter seiner Aufsicht manche Dinge, wie mit ihm in den Urlaub zu fahren oder für kurze Zeit im Freien zu sein. Dadurch bekam sie das Gefühl, endlich wieder frei sein zu wollen und sagte sich selber, das sie an ihrem 18. Geburtstag frei kommt. Nur einige Tage nach ihrem Geburtstag konnte sie entkommen, die Polizei allerdings war keine große Hilfe.
Sie wollte frei sein, 2006 ist sie entkommen, doch sagt sie, sie ist erst jetzt wirklich frei und konnte ein neues Leben beginnen und ist in eine eigene Wohnung gezogen. Doch wird ihr Leben jemals so sein, wie das der anderen?
Rabea Hoffmann, Stefanie Kinder und Jan Dittmann, Goch, Gesamtschule Mittelkreis