Das Konzept, das Gymnasium in NRW überall von neun auf acht Schuljahre zu verkürzen, ist noch immer nicht zu Ende gedacht. Zu häufig kämpfen viele Schüler gerade in der Sekundarstufe I mit den gestiegenen Anforderungen in der neuen Lernsituation. Der Grund ist, dass die Grundschulen nicht ausreichend in diese Veränderungen mit einbezogen worden sind. In Klasse vier werden die Schüler mit gymnasialer Empfehlung so meistens nicht richtig auf den künftigen anspruchsvollen Schulalltag vorbereitet.
In NRW gibt es das G8 genannte Turbo-Abi schon seit 2005/2006. Trotz oder gerade wegen der damit gemachten Erfahrungen kommt das Thema aber nicht zur Ruhe. Das überrascht, denn die Ziele des neuen Schulkonzepts sind klar und nachvollziehbar. Gegen einen früheren Start in das Berufsleben oder Studium ist nichts einzuwenden. Das verbessert im Vergleich mit anderen Ländern die Chancen. Aber es ist bislang nicht gelungen, die Nachteile dieser Änderung für die Schüler und Familien in den Griff zu bekommen.
Was ist passiert? Mehr Lernstoff, mehr Unterricht und weniger Zeit für Vertiefung, höheres Lerntempo und eine verkürzte Eingewöhnungsphase in Klasse fünf, das alles sind Nebenerscheinungen von G8. Das bedeutet für viele Schüler auch mehr Schulstress. Sie haben weniger Freizeit. Sport oder Musikschule, Tanzkurs oder einfach das Treffen mit Freunden bleiben auf der Strecke. Eltern werden zu Nachhilfelehrern, weil Ihre Kinder gerade zu Beginn mit dem Lernpensum überfordert sind. Nicht selten sind auch gesundheitliche Probleme, wie Schlafstörungen, Erschöpfung oder Kopfschmerzen die Folge der Belastung.
Ist eine Verbesserung in Sicht? Nein, denn die aktuelle Diskussion bleibt wieder nur an der Oberfläche. Es wird nicht wirklich helfen, wenn es künftig ein Nebeneinander von G8 und G9 gibt. Auch verbessertes Lernmaterial ist zwar notwendig, aber nicht der Schlüssel zu weniger Schulstress. Die Ganztagsschule holt zwar die Betreuung aus der Familie weg, wird aber an der Belastung für die Schüler in Klasse fünf und sechs wenig ändern.
Was muss also passieren? Das Motto lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Die Schüler müssen die Gelegenheit bekommen, sich früher als bisher auf die gestiegenen Anforderungen vorzubereiten. Und das darf nicht davon abhängen, wie viel Geld eine Familie zur Verfügung hat. Hier muss es für alle die gleiche Chance geben. Was ist einfacher, als die Grundschule in das Konzept einzubeziehen? In Klasse vier muss stärker unterschieden werden, damit Schüler mit gymnasialer Empfehlung neben dem fachlichen Lernstoff vor allem lernen, wie man auf dem Gymnasium lernt. Das klingt so einfach und selbstverständlich, dass es verwundert, wie wenig dem Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wann wacht unser Schulsystem auf und greift an den richtigen Stellen ein?
Nadine Pothen, Düsseldorf, Erzb. St. Ursula-Gymnasium